Foto: Alfred Grünmandl. Hohenems Genealogie. Online unter: https://www.hohenemsgenealogie.at/gen/showmedia.php?mediaID=2974&medialinkID=3853 (Stand: 10.8. 2024) Alfred Grünmandl wurde 1883 in Uhersky Brod, Tschechien, als Sohn von Leopold Grünmandl (1883 - 1914) und Betti geb. Fuchs (1857-1903), geboren. Er zog Anfang des Jahres 1907 nach Wien und arbeitete als Handelsgehilfe. Er war unverheiratet und mosaischen Glaubens und für einen Monat in Wien Frömmlgasse/Floridsdorf gemeldet. Im Jahr 1907 zog er als 24-jähriger gemeinsam mit seinem Bruder Otto (1891–1915) nach Hall in Tirol, um ein Textilgeschäft zu eröffnen. Er diente im Ersten Weltkrieg beim 4. Tiroler Infanterieregiment. Am 10. Oktober 1914 traten Alfred Grünmandl und seine spätere Gattin Christine Katzengruber (7.Juli 1982 in Petzenkirchen NÖ geb.) zum evangelischen Glauben über. Die beiden heirateten am 26. Oktober 1914 in der evangelischen Kirche in Innsbruck. (Trauungsregister (1), Nr. 34) Im Jahr 1919 stellte Alfred Grünmandl den Antrag auf Aufnahme ins Heimatrecht der Stadtgemeinde Hall. Er argumentierte, dass er zwar in Ungarisch Brod geboren sei, aber sich seit dem Jahr 1907 für die deutsch-sprachige Gemeinde Hall entschieden habe. Alfred Grünmandl führte an, dass die 10-Jahres Frist des Aufenthalts in der Gemeinde bereits überschritten sei und beantragte für sich und seine Familienmitglieder das Heimatrecht in Hall in Tirol. Dazu gehörten seine Frau Christine geb. Katzengruber (1892–1973) und seine Kinder, Ludwig (1917–1980) und Betty (1918–2012), Otto (1924–2000) und Herta (1929–2015), die in Hall geboren wurden. Im Oktober 1919 bestätigte der Gemeinderat die Aufnahme der Familie Grünmandl in den Heimatverband der Stadtgemeinde Hall in Tirol. Alfred Grünmandl bezeichnete sich selbst als Kaufmann, weil er sich aufs Verkaufen von Waren im Speziellen auf Stoffe spezialisierte. Christine Grünmandl geb. Katzengruber entstammte einer römisch-katholischen Bauernfamilie aus Niederösterreich. I. Jüdische Migration nach und von Innsbruck in der zweiten Hälfte des 19. JahrhundertsDie geographische Lage Österreichs im Zentrum der Ost-West- und Nord-Süd-Handelsrouten begünstigte seit jeher Zu-, Ab- und Transitwanderungen. Das Bevölkerungswachstum der Klein- und Mittelstädte sowie der ehemaligen habsburgischen Haupt- und Residenzstädte und deren kulturelle Vielfalt wären ohne Zuwanderungen von Migrantinnen und Migranten im Laufe der Jahrhunderte nicht denkbar. 1867 entstand die Österreichisch-Ungarische Doppelmonarchie, die aus zwei Reichshälften, Cisleithanien und Transleithanien, bestand. Cisleithanien wurde zunehmend und ab 1915 amtlich als "Deutschösterreich" bezeichnet. Die Zuwanderung hatte einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung Österreichs. Migrantinnen und Migranten aus allen Teilen Europas und darüber hinaus brachten neue Ideen, Fähigkeiten und Kulturen in das Land. Sie trugen zur wirtschaftlichen Blüte, zum gesellschaftlichen Wandel und zur kulturellen Bereicherung Österreichs bei. Die Binnenmigration in die Städte und Gewerberegionen wurde von Zeiten der Ausweisung und Vertreibung von Bevölkerungsgruppen begleitet, wie zum Beispiel der Juden. Zunächst wurden sie zur Einwanderung aufgefordert und mit Schutzbriefen/Privilegien ausgestattet, aber ab dem 14. Jahrhundert wurden sie mehrmals in unterschiedlichen Zeitabständen verfolgt, vertrieben und in einzelnen Fällen sogar ermordet. Diese Vertreibungen fanden in der Steiermark, Tirol (1475), Kärnten (1496/97) und Salzburg (1498) statt. In Wien musste die jüdische Gemeinde um 1582 selbst dafür sorgen, dass die dort lebenden befreiten Juden bei der „Abschaffung der fremden Juden“ von Venedig, Polen, Böhmen und Mähren mitwirkten. Um 1670 ließ Kaiser Leopold I. die Juden erneut aus Wien und Österreich vertreiben. Erst das Toleranzpatent (1782) von Josef II. konnte die Situation der Juden in Österreich verbessern. Im Zuge dieses Patents wurden männliche Juden erstmals im Jahre 1788, zunächst in Galizien und im gleichen Jahr auf das gesamte österreichische Staatsgebiet ausgeweitet, zum Militärdienst herangezogen. Im Gegensatz zu vielen deutschen Staaten gab es im 19. Jahrhundert in Österreich jüdische Offiziere. Die im europäischen Vergleich spät einsetzende Industrialisierung und der Aufbruch in das Industriezeitalter erforderten ein enormes Investitionskapital. Diesen Finanzbedarf deckten viele jüdische Bankiers, Großkaufleute und Fabrikanten. Einer von ihnen war Salomon Rothschild (1774-1855), Begründer des Wiener Zweigs der Familie und beteiligt an der Gründung der Österreichischen Nationalbank. Sein jüdisches Bankhaus mit europaweiten Niederlassungen finanzierte den Bau der Kaiser Ferdinand-Nordbahn, die von Wien zum Salzbergwerk Bochnia in Galizien führte. Der Ausbau moderner Verkehrstechnik und Verbindungen führte in Österreich zu einer Massenmobilisierung von Arbeitskräften. Die umfangreiche Migration innerhalb der Monarchie sowie die politischen Ereignisse des Vormärz und der Revolution von 1848/49 führten zu einer Verschärfung der Zuständigkeits- bzw. Heimatrechtsgesetzgebung. Nach der Novellierung des Gesetzes von 1863 bedeutete dies, dass nur Staatsbeamte und begüterte Personen das Heimatrecht am neuen Wohn- und Aufenthaltsort erhielten. Diese Ungleichheiten bei der Vergabe des Heimatrechts schürten generelles Unbehagen, das sich in Konfrontationen mit den Migranten entladen konnte. Diese Spannungen wurden durch ein erstarkendes Nationalgefühl sowie (wieder)erwachte rassistische und antisemitische Strömungen verstärkt. Am 21. Dezember 1867 wurde ein neues Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder erlassen. Es bestimmte, dass jede gesetzlich anerkannte Kirche oder Religionsgesellschaft das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsausübung hatte und ihre inneren Angelegenheiten selbständig ordnen und verwalten konnte (Artikel 14-16). Mit dem Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867 erhielt die jüdische Bevölkerung erstmals uneingeschränkte Niederlassungsfreiheit. Im 19. Jahrhundert waren die österreichischen Alpenländer ein Zuwanderungsgebiet. Das Gesamtbevölkerungswachstum zwischen 1819 und 1913 betrug 3,9 Millionen, wobei rund 1,3 Millionen, entsprechend 35,1 Prozent, auf die Migrationsbewegung entfielen. Weibliche Migranten machten mit einem Anteil von 730104 mehr als die Hälfte des Wanderungsgewinns aus. Der durchschnittliche jährliche Zuwachs bei der Immigration wurde auf 14.680 Personen geschätzt. Der Großteil der Immigranten stammte aus der Monarchie, die ihre Herkunftsgebiete verließen, um in den industriellen Ballungsräumen einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Es lassen sich zwei Einwanderungswellen ausmachen, eine im ersten Drittel und eine zweite im letzten Abschnitt des 19. Jahrhunderts. Österreich war insgesamt ein Zuwanderungsland, jedoch bestand zwischen den Jahren 1848 bis 1867 eine Auswanderung, die sogenannte "1848er Emigration". Das Zentrum dieser auswanderungswilligen Gruppen dürfte in den deutsch-tirolischen Bezirken mit einem Verlust von 19.000 Personen gelegen haben. Seit den Protestantenpatenten von 1859 und 1861 war die politische Lage in Tirol nicht nur geprägt von einem jahrzehntelangen Widerstand der klerikal-konservativen Kreise gegen die liberale Regierungspolitik im Reichsrat, sondern es wurde auch ein erbitterter Kulturkampf auf Kosten der jüdischen und protestantischen Minorität gegen deren Ansiedlung unter Berufung auf die Autonomie und Glaubenseinheit des Landes geführt. Die Innsbrucker Nachrichten brachten in einem Artikel vom 27.2.1860 die Meldung, dass in Tirol und Vorarlberg 807 103 Katholiken, 122 Protestanten und 978 Juden lebten. Die Stimmung in Innsbruck gegenüber der jüdischen Bevölkerung ließ sich an einem Zeitungsbericht vom 18. Februar 1861 erkennen, in dem die Schändung des jüdischen Begräbnisplatzes von Unbekannten streng verurteilt wurde. Am 3. März 1863 ereignete sich derselbe Vorfall erneut: „Schon wieder haben boshafte Hände den hiesigen israelitischen Friedhof demoliert, da Grabsteine an der Eingangstüre ausgerissen und zerschlagen wurden. Eine solch schändliche That, dem größten Fanatismus entsprungen, muss jeden ehrbar denkenden Mann empören!“ (Innsbrucker Nachrichten vom 18.2.1861 und 3.3. 1862) Für jüdische Mittel- und Oberschichten lässt sich in erheblichem Ausmaß der Typus der Karrieremigration feststellen. Während in der öffentlichen Verwaltung in Tirol keine Juden zu finden waren, kamen ab 1869 mehrere jüdische Universitätsprofessoren an die medizinische Fakultät in Innsbruck. Einer dieser Professoren war Univ. Prof. Dr. Ludwig Mauthner (1840 in Prag - † unbekannt), der 1869 direkt nach Innsbruck immigrierte. Die "Innsbrucker Nachrichten" berichteten über die Bestellung des 29-jährigen Professors für Augenheilkunde, der als erster Jude eine Professur an einer österreichischen Universität erhielt. Im Jahre 1877 verlegte er seine ständige Residenz nach Wien. Gerade an den Universitäten begann sich seit den 1880er Jahren ein politischer Antisemitismus auszubreiten, der sich in Protesten der Studenten äußerte. Im Jahr 1883 gründete sich die Innsbrucker Burschenschaft "Suevia", deren Mitglieder sich als "Schönerianer" outeten. (Martin Achrainer, Juden und Jüdinnen in Tirol, S. 225-303.) Man stellte fest, dass sich ein gesellschaftlicher Wandel in der Aufnahmegesellschaft vollzog, der im Jahre 1879 einem Zeitungsbericht der "Innsbrucker Nachrichten" zufolge vor jüdischen Händlern und Hausierern warnte, die auf zudringliche Weise die Bewohner der Stadt und umliegenden Dörfer bedrängen sollten, um ihre Ware zu verkaufen. In diesem Zusammenhang musste man eine neue Variante eines Vorurteils gegenüber der jüdischen Minderheit in Tirol sehen. Diese bestand zunächst in der Nachahmung der deutschen und der Wiener antijüdischen Publizistik, nämlich die Verknüpfung aller Elemente der "Moderne" in Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur mit den Juden. Die konservativen Kräfte hatten bereits in den 1870er Jahren in Tirol nicht nur politisch, sondern auch kulturell ihre hegemoniale Vormachtstellung verloren. In den 1880er Jahren mehrten sich antijüdische Attribute in der Berichterstattung, wie "judenliberal", "verjudet" oder einfach die "Juden-Presse", um einem politischen Antisemitismus den Boden zu bereiten. Sukzessive erhöhte sich die Ablehnung der jüdischen Mitbewohner in Innsbruck durch die Mehrheitsgesellschaft. In den Köpfen der Mehrheit entwickelten sich sogenannte Stereotype, die der Tübinger Ethnologe Hermann Bausinger (1926) als unkritische Verallgemeinerungen bezeichnete, die vor Überprüfung abgeschottet waren, sich gegen Veränderungen als resistent erwiesen und die nichts mit wissenschaftlicher Einstellung zu tun hatten. Diese Vorurteile dienten der Strukturierung, sodass unterschiedliche Einflüsse auf eine überschaubare Ebene reduziert wurden. Der Begriff "Stereotyp" geht zurück auf Walter Lippmann (1889-1974), der den Namen eines Verfahrens für Matrizenvervielfältigung heranzog, um die Bilder in unseren Köpfen zu beschreiben. Sie bezogen sich stets auf ein anonymes Kollektiv, auf die Gesamtheit einer ethnischen Gruppe, wie zum Beispiel die Bauern, die Protestanten oder die Juden, und dienten oft zur Abgrenzung vom "Anderen" und dessen Abwertung. Dadurch entstand die Grundlage für den sogenannten Rassenwahn, Antisemitismus und Nationalismus. Fremdes wurde als Bedrohliches empfunden, dabei wurde erkannt, dass ein intensives Auseinandersetzen mit dem "Anderen" zu einem besseren Verständnis führen konnte, das Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit vermeiden ließe. Der Antisemitismus hatte um 1900 ein Ausmaß angenommen, das beinahe zum "kulturellen Code" breiter gesellschaftlicher Schichten geworden war. Öffentliche Beschimpfungen und Verunglimpfungen führten nicht mehr zur Beschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft und zur Anzeige wegen Volksverhetzung wie Jahrzehnte zuvor, sondern erhielten Beifall. Spott und Hohn gegenüber jüdischen Mitbewohnern waren alltäglich in Vereinen, an Stammtischen und in der öffentlichen Verwaltung. Zwischen 1890 und 1910 hatte ein gesellschaftlicher Wandel stattgefunden, der die Akzeptanz des modernen Antisemitismus ermöglichte. Obwohl die Gleichberechtigung für Juden seit 1867 gesetzlich und persönlich vor dem Staat geschützt war, waren sie als gesellschaftliche Gruppe schutzlos den Anfeindungen ausgesetzt. Am 10. Dezember 1906 wurde, wie jedes Jahr ein Flugblatt in Innsbruck verteilt, das die Bürger über jüdische Geschäfte aufklärte: "Zur Abwehr! Seit einigen Jahren erscheint in Innsbruck während der Adventszeit ein Flugblatt, gezeichnet: 'Für den deutschen Wählerverein für Tirol: Dr. Fritz Lantschner, Dr. Friedrich Frank', zum Zweck, dem kaufenden Publikum jene Geschäfte und Unternehmen bekannt zu geben, welche von Juden oder getauften Juden (Judenstämmlingen) geleitet werden. In dem am 6. Dezember des laufenden Jahres 1906 wieder erschienenen Flugblatt stand unter dem zum wirtschaftlichen Boykott 'Empfohlenen' unter anderem auch die Firma Ernst Mayer, Apotheke- und Laboratoriums-Einrichtung, Colingasse 9 und Bürgerstraße 7. Der seit 35 Jahren hier ansässige oben Genannte sah sich gezwungen, hiemit öffentlich zu erklären, weder Jude zu sein, noch auch nur im Entferntesten einer Judenfamilie anzugehören." Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich zur jüdischen Integration in die örtlichen Strukturen zunächst eine Zustimmung der Mehrheit erkennen ließ, die durch die politische Herrschaft gefördert wurde. Die Entscheidungsabläufe für Migrationsbewegungen der jüdischen Bevölkerung wurden durch rechtliche Voraussetzungen, die die Doppelmonarchie Habsburgs 1867 schuf, wesentlich befördert. Die rechtlichen und politischen Einflussmöglichkeiten wurden ergänzt durch die Wahrnehmung in der Entsendegesellschaft und die Akzeptanz in der Aufnahmegesellschaft. Trotz gelegentlicher Versuche, nationale Identität aus kultureller Überlieferung und scheinbarer Überlegenheit definieren zu wollen, gab es weder in Tirol noch in Österreich eine kulturelle Homogenität. In der Geschichte war die Bewegung von Menschen über die Grenzen hinweg und die Begegnung von unterschiedlichen Kulturen nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Die Motive für Migration waren meist vielschichtig, zwischen den Polen von Autonomie im Sinne individueller Entscheidung und Zwang in Form systemischer Logiken, Herrschaft oder Gewalt. Grafik: Abblidung1 und 2: Achrainer, Martin/Albrich, Thomas/Hofinger, Niko (Hrsg.): Lebensgeschichten statt Opferlisten. Die biografische Datenbank zur jüdischen Bevölkerung in Tirol und Vorarlberg im 19. und 20. Jahrhundert – Forschungsbericht, Wien 1997, S. 288. Die Basis für das Anwachsen der jüdischen Gemeinde Innsbrucks stellten die Staatsgrundgesetze von 1867 dar. In deren Folge wuchs die Innsbrucker Gemeinde von 25 auf 500 Mitglieder an. Trotzdem kam der Bevölkerungsanstieg durch Geburten und bessere medizinische Versorgung zustande, da man mehr Ab-und Transitwanderungen als Zuwanderungen für die jüdische Gemeinde Innsbrucks feststellte. Der Zuzug nach Innsbruck betrug 1880 hundertzwölf Personen, 1890 Hundert, 1900 Hundertachtundzwanzig, 1910 mit Militär 384 jüdische Angehörige. Innerhalb weniger Jahre verwandelte sich Innsbruck in eine Zuwanderungsgesellschaft, die über die kleine „tolerierte“ jüdische Gemeinde hinauswuchs und zu einer gesellschaftlich differenzierten Gruppe eingesessener und zugezogener Familien, Einzelpersonen und jungen Paaren wurde. Allerdings erfolgte das Anwachsen der jüdischen Gemeinde über hier Geborene, da die Abwanderung den Zuzug bis 1917 überwog. Für die Bildung einer heterogenen Gemeinschaft fehlte anfangs die Infrastruktur, wie die der Kultusgemeinde. Doch zeigte sich, dass familiale und manchmal geschäftliche Verbindungen bestanden. Die meisten Zuwanderer betätigten sich als kleine Händler, die Konfektionswäsche, Kleidung oder Schuhe verkauften. Auch in den 1880er und 1890er Jahren nahm der Zuzug von jüdischen Kaufleuten, parallel zum allgemeinen Bevölkerungswachstum weiter zu. In der öffentlichen Wahrnehmung dominierten die erfolgreichen Geschäftsleute, wie die Familien Schwarz und Bauer, Graubart und Brüll, die ein jüdisches Zentrum bilden sollten. Im Rückblick lässt sich feststellen, dass Innsbruck stets eine Zuwanderungsgesellschaft von einigen wenigen jüdischen Migranten war. Möglicherweise war der Bedeutungswandel, der durch Konkurrenzdruck seitens jüdischer Händler und Handwerker entstand, in ihrer Relevanz aus der Perspektive der Mehrheitsgesellschaft besonders konfliktträchtig und eines der Zentralprobleme für das Entstehen eines Antisemitismus, der zu einer Inakzeptanz der jüdischen Minderheit zu Beginn des 20. Jahrhunderts führte. Zum einen begann sich auch in Innsbruck gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine antisemitische Strömung zu formieren, die zwar nicht zu Pogromen führte, aber das Zusammenleben der jüdischen Minderheit mit der Mehrheitsbevölkerung belastete. Zum anderen berichteten die "Innsbrucker Nachrichten" durchaus wohlwollend über den Empfang des Obmannes der israelitischen Kultusgemeinde, Wilhelm Dannhauser, von Kaiser Franz Joseph II. in Wien am 26. November 1908 anlässlich seines Regierungsjubiläums. Wäre es nicht zur unsäglichen NS-Verfolgung gekommen, so hätte die jüdische Bevölkerung Innsbrucks weiterhin am prosperierenden Leben der Stadt teilgenommen, als integraler Teil, der seit siebenhundert Jahren dort existierte. Die Familie Grünmandl nach der Machtübernahme durch die NationalsozialistenFotos: links Betty Grünmandl (1918-2012) und rechts Herta Grünmandl (1929-2015). In: Hohenems Genealogie online unter: https://www.hohenemsgenealogie.at/gen/getperson.php?personID=I2641&tree=Hohenems (Stand: 10. 8. 2024) Bei der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde Alfred Grünmandl laut Arier-Nachweis als „Volljude“ eingestuft. Die Nationalsozialisten machten keinen Unterschied, ob es sich um Katholiken, Evangelische oder Mosaische Glaubensbekenntnisse bei den Personen handelte. Alfred Grünmandl`s Betrieb wurde bereits im März 1938 arisiert, dazu gehörte das Geschäft in der Salvatorgasse und ein Teil des Vermögens, beispielsweise das Haus am Oberen Stadtplatz Nr. 5. Er musste eine Judenvermögensabgabe von RM 15000,00 bezahlen.[1] Der nunmehrige Besitzer bewirbt das arisierte Geschäft mit folgenden Worten: „Kaufhaus Grünmandl, Manufaktur- und Kurzwaren Geschäft in der Salvatorgasse 11 sei entjudet." (Quelle: Haller Kreis-Anzeiger, 22.10.1938, Nr. 42, S. 4.) [1] TLA, Opferfürsorgeakt 00358. Antrag auf Wiedergutmachung und Beilage mit Auflistung der Kosten für die Wiedergutmachung. Foto: Geschäft von Alfred Grünmandl in Solbad Hall (2023). In: Privatarchiv K. Walder Hall in Tirol. Bei der Nutzung der beschlagnahmten Objekte hatten die Parteigliederungen Vorrang. Alle Liegenschaften, die nicht von Parteigenossen genutzt wurden, fielen an das Land Tirol. Die Behörden des Landes verwendeten die Gebäude und Grundstücke entweder selbst oder veräußerten sie. Die Arisierung der Handels- und Gewerbebetriebe unterlag der Arisierungsstelle Innsbruck, geleitet von Gauwirtschaftsberater Duxneuner. Diese Stelle kündigte die Mietverträge jüdischer Wohnungsmieter und ernannte schnell kommissarische Leiter für die Übernahme jüdischer Geschäfte, die später am Erwerb interessiert waren. Zwischen Mai und Oktober 1938 wurden in Innsbruck die Arisierungen von achtzehn Geschäften bekanntgegeben, wie es beispielsweise in den "Innsbrucker Nachrichten" heißt: "Cafe Schindler ist am Mittwoch mit Bewilligung der Vermögensverkehrsstelle im Ministerium für Handel und Verkehr in den Besitz eines bewährten illegalen Parteigenossen und alten Kämpfers übergegangen." Durch den Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte sank deren Umsatz sehr rasch. So wurde das Kaufhaus Bauer & Schwarz in der Innsbrucker Maria-Theresien-Straße, das größte Kaufhaus Tirols, im Mai 1938 praktisch in den Konkurs getrieben, obwohl das Geschäft Ende 1937 noch ein Anlage- und Betriebsvermögen von über einer Million Schilling aufwies. Trotz heftigen Protests der Interessenten aus Tirol wurde das Kaufhaus unter Wert an einen Käufer aus dem Deutschen Reich verkauft und hieß nun Kaufhaus Kraus. Im Handel, der im Volksmund als besonders jüdisch galt, waren von 17.418 Tiroler Geschäften 54 in jüdischem Besitz, davon wurden 24 Lebensmittel- und Textilgeschäfte geschlossen. Am 1. August 1939 führte die Donauländische Treuhand- und Organisationsgesellschaft M.B.H. eine Gebarungsprüfung über die Arisierungsstelle Innsbruck durch. Dabei wurden alle Zahlungen aufgeführt, die von den kommissarisch verwalteten Firmen an die Arisierungsstelle in Innsbruck geleistet wurden. Unter anderem scheint in Hall das arisierte Textilgeschäft von Alfred Grünmandl mit einer eingezahlten Zahlung von RM 1105,-- auf. (Köfler, Gretl: Der Verfolgung der Juden. Einziehung von Vermögenswerten – Ausschaltung aus dem Berufsleben. In: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (Hrsg.): Widerstand in Tirol 1934 - 1945. Eine Dokumentation (1). Wien/München 1984, S. 430-440.)
Ab der Machtübernahme wurde die Gestapo in Innsbruck mit der Erfassung der JudenInnen in Tirol befasst. Es gab mehrere Listen über Aufenthalt und Auswanderung von JudenInnen.[1] Ab diesem Zeitpunkt durften die Bezirkshauptmannschaften keine Reisepässe für diese Bevölkerungsgruppe ausstellen. Die Passinhaber mussten ihre Reisedokumente an die Bezirkshauptmannschaften retournieren. Die Polizeistelle Solbad Hall antwortete einen Monat später, dass sie aufgrund des Einvernehmens mit der NSDAP Ortsgruppenleitung, den in der Stadtgemeinde wohnhaften JudenInnen und Personen, die vermutlich jüdisch stämmig seien, die Reisedokumente abgenommen wurden. Es wurden von Kaufmann Alfred Grünmandl, sowie seinen Kindern Ludwig und Betty Grünmandl die Pässe eingezogen und an die BH-Innsbruck gesandt. Alfred Grünmandl erklärte, dass sein Vater Jude war, obwohl er selbst dem protestantischen Glauben angehörte. Seine Ehegattin war arischer Abstammung, daher behielt sie ihren Reisepass.[2] Während der Pogromnacht des 9. November 1938 hatte die Familie Grünmandl enorme Angst, denn sie wussten nicht, ob es auch in Hall Ausschreitungen geben werde. Die Stadt Hall blieb aber im Gegensatz zu Innsbruck von diesen verschont. Im Jahr 1939 gelang es Betty Grünmandl erfolgreich nach Großbritannien zu emigrieren.[3] Alfred Grünmandl wurde von den Nazis als Jude in einer Mischehe bezeichnet. Für die jüdischen EhepartnerInnen gab es unterschiedliche Vorgehensweisen innerhalb der NSDAP. Auf mehreren Endlösungskonferenzen wurden von Jänner 1942 bis Oktober 1943 diskutiert, welche Vorgehensweise einzuschlagen sei. Die NS-Organisationen wollten diese Mischehen genauso verfolgen, aber das Justiz-und Propagandaministerium hielt aufgrund der erwarteten negativen Reaktion der Öffentlichkeit diese Vorgehensweise nicht als zielführend.[4] Fußnoten: [1] TLA, Geheime Staatspolizei, Schreiben Staatspolizeidienststelle Wien, an BH Ibk., am 22.3.1938, in: BH Innsbruck Abt. II. Fasz. 542. [2] TLA, Schreiben Gendarmerieposten Kommando Hall in Tirol an die BH Ibk., am 2.4.1938, in BH Innsbruck Abt. II, Fasz. 542. [3] TLA, Zahl: II 2864/13, Schreiben, Betreff Auswanderung von Juden aus Tirol, an die Gestapo, Staatspolizeistelle Innsbruck, Innsbruck am 7.7. 1939, in: BH Ibk. 1951, Abt. II/Reg. 98, Zl 1385 (mit Zl 1804 aus 1950), Fasz. 775. [4] Hilberg, Vernichtung, S. 436- 447. Bereits zu Ostern 1943 wollte Gauleiter Franz Hofer alle im Gau noch lebenden JudenInnen inhaftieren. Dieser Alleingang der Innsbrucker Gestapo blieb nicht ohne Folgen, denn plötzlich galt der Schutz eines arischen Ehepartners nicht mehr. Trotz Geheimhaltung durch den Gauleiter, bildete sich Widerstand in der Bevölkerung. Durch Petitionen versuchten Freunde und Familienmitglieder die Freilassung der Inhaftierten zu erreichen. Ein großer Teil wurde daraufhin tatsächlich aus der Gestapohaft entlassen. Alfred Grünmandl wurde im April 1943 für vier Wochen im Gestapolager Reichenau festgehalten. Vor seiner Festnahme musste er beim Maurermeister Fröschl Zwangsarbeit leisten. Er war zwischen 55 und 60 Jahre alt und als Kaufmann kaum für schwere körperliche Arbeit geeignet. Die Zustände im Lager Reichenau zehrten noch zusätzlich an seinen Kräften. Er wurde zu Fuß nach Solbad Hall entlassen. Er durfte weder die Straßenbahn benützen noch sich im Krankenhaus behandeln lassen. Nur durch die Hilfe von Freunden und Bekannten konnte Alfred Grünmandl die Zeit bis zum Mai 1945 in seinem Haus in der Krippgasse 12 in Solbad Hall überleben. Während des Krieges war Anton Walder mit seiner Gattin Josefine und ihrer Tochter Ingeborg (1939–1945) im Haus Krippgasse 12 im Parterre in Hall in Tirol gemeldet. Das folgende Foto zeigt die beiden Fenster (mit Plakatsprüchen von Otto Grünmandl) im Jahr 2020. Hinter diesen Öffnungen befand sich der Raum, den die junge Familie Anton und Josefine Walder während des Zweiten Weltkrieges bewohnte. (Siehe Blogbeiträge Anton Walder I und II) Foto: Haus Grünmandl in Hall in Tirol, Krippgasse 12 (2020). In: Privatarchiv K. Walder Hall in Tirol. Otto Grünmandl (1924 - 2000)Foto: links Otto Grünmandl als Junge. Hohenems Genealogie. Online unter:{https://www.hohenemsgenealogie.at/gen/getperson.php?personID=I2640&tree=Hohenems (Stand: 10. 8. .2024) Rechts: Otto Grünmandl in den 1980er Jahren in Hall in Tirol. In: Privatarchiv K. Walder, mit eigenhändiger Unterschrift von Otto Grünmandl. Otto Grünmandl, 1924 in Hall geboren, wurde ebenfalls von den Nationalsozialisten inhaftiert. Otto Grünmandl schloss sich bereits in der Oberschule für Jungen und Mädchen (ehemals Franziskaner Gymnasium) der Widerstandsgruppe Michael und Peter Zwetkoff an. Er konnte bei vielen Unternehmungen aufgrund der Überwachung durch die Gestapo nicht informiert werden, weil es für ihn selbst zu gefährlich war. (siehe Blogeintrag: Michael und Peter Zwetkoff) Otto Grünmandl wurde vom 16. Oktober 1944 bis zum 19. Mai 1945 im Zwangsarbeiterlager Rositz in Thüringen interniert. Sein Bruder Ludwig Grünmandl diente als Soldat in der Wehrmacht von 1939 bis 1940 und war in Frankreich stationiert. Bis zum Jahr 1939 lebte er ebenfalls wie die gesamte Familie im Haus in Hall in Tirol, Krippgasse 12. Vom Jahr 1940 bis zum Jahr 1943 war er in Innsbruck, Burggraben 13 gemeldet, um hernach bis zum Kriegsende wieder in Hall in der Krippgasse 12 zu wohnen. Fotos: Innsbrucker Nachrichten In: Privatarchiv E. Walder Hall in Tirol. Your browser does not support viewing this document. Click here to download the document. Quellen: RIS-rgb 1914_0337_01245-Reichs-, Staats-und Bundesgeeseztblatt 1848 - 1940. Online unter: https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=BgblAlt&Dokumentnummer=rgb1914_0337_01245 (Stand: 11.8. 2024) Your browser does not support viewing this document. Click here to download the document. Foto: Grabstein Otto Grünmandl, jüdischer Friedhof in Innsbruck (2023). In: Privatarchiv E. Walder Hall in Tirol.
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