Der Zeitungsartikel vom 14. März 1939 in den Innsbrucker Nachrichten bietet ein typisches Beispiel nationalsozialistischer Propagandarhetorik, wie sie in der Zeit zwischen dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs im März 1938 und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 in öffentlichen Medien allgegenwärtig war. Die Darstellung der Kundgebungen in Hall in Tirol am 13. März 1939 ist durchzogen von gezielten ideologischen Botschaften, revisionistischen Geschichtsbildern und aggressiver Mobilisierung. Your browser does not support viewing this document. Click here to download the document. Kirche und Politik in Hall in Tirol 1933 - 1938Auch in Hall in Tirol waren die politischen Umbrüche unter der autoritären Regierung Engelbert Dollfuß' (1892-1934) deutlich spürbar. Im Jahr 1933 machte Dollfuß, damals Bundeskanzler des autoritär regierten „Ständestaates“, den österreichischen Seelsorgern unmissverständlich klar, dass er keine politische Mitwirkung kirchlicher Vertreter in der staatlichen Regierungsarbeit duldete. In direkter Folge verabschiedete die Österreichische Bischofskonferenz im Dezember desselben Jahres einen Beschluss, wonach sich katholische Geistliche vollständig aus der aktiven Politik zurückzuziehen hätten. Trotz dieser Einschränkungen blieb das kirchliche Leben in Hall eng mit der Gemeinde verwoben. So ließ Kooperator Lambichler im Frühjahr 1933 auf der Pletzerwiese ein Jugendheim des Reichsbundes katholischer Jugend errichten. Die feierliche Eröffnung fand im März 1933 unter Anwesenheit von Bürgermeister Dr. Kathrein und mehreren Gemeinderäten statt. Das Heim, bestehend aus einem wohnlich eingerichteten Holzbau und einem großzügigen Spielplatz, diente der Haller Jugend als Ort für Freizeitgestaltung, Gemeinschaft und schulische Förderung. Auch das missionarische Engagement der Haller Kirche war lebendig: Am 8. Oktober 1933 wurden in der Franziskanerkirche die beiden Patres Franz Schumacher und Erwin Bergthaler in einer feierlichen Messe zur Missionsarbeit nach Bolivien verabschiedet. Diese Beispiele zeigen: Auch in einer Phase politischer Restriktionen blieb die katholische Kirche in Hall aktiv im sozialen und geistlichen Leben präsent – jedoch unter klarer Trennung von kirchlicher Seelsorge und staatlicher Politik, wie sie vom autoritären Regime eingefordert wurde. 1. Verzerrte Geschichtsdarstellung und Ausblendung des Widerstands Der Artikel beginnt mit einer euphorischen Schilderung des „Sturms“ des Nationalsozialismus durch die Gassen einer vermeintlich rückständigen, „klerikalen Hochburg“. Diese Formulierung ist nicht nur diffamierend gegenüber der katholischen Prägung Halls, sondern verschweigt bewusst, dass sich dort bereits im März 1938 vereinzelt, ab 1939 aber zunehmend strukturierter, klerikal geprägter Widerstand gegen das NS-Regime formierte. Zahlreiche Priester, Lehrer und auch Laien aus dem Umfeld der katholischen Kirche waren aktiv im Widerstand oder zumindest kritisch eingestellt. Dass der Artikel diese Kräfte als bloßes Überbleibsel eines „über Nacht hinweggefegten“ Systems beschreibt, ist Ausdruck einer geschichtspolitischen Auslöschung. Zudem ignoriert der Text vollkommen die Tatsache, dass Engelbert Dollfuß, autoritärer Kanzler des „Ständestaates“, bereits 1934 mit dem sogenannten „Kanzelverbot“ und weiteren Repressionen die politische Betätigung von Priestern verboten hatte. Das nationalsozialistische Regime griff diese Trennung von Religion und politischer Einflussnahme zwar propagandistisch auf, tat dies jedoch in selektiver, instrumentalisierender Weise. Im Artikel wird scheinheilig behauptet, man sei „Feind politisierender Priester“, respektiere aber die „Religiosität des Volkes“ – eine Rhetorik, die der tatsächlichen Verfolgung vieler Geistlicher diametral entgegensteht. 2. Ideologische Durchdringung der Sprache Der Artikel ist in einer hochgradig ideologisierten Sprache verfasst, die das Vokabular des Nationalsozialismus aufgreift: Begriffe wie „tatgewordene Idee“, „Führer“, „Volksgenossen“, „Kameradschaften“ und „Reichskriegerbund“ spiegeln die völlige Gleichschaltung aller Lebensbereiche. Die durchgängige Heroisierung des Führerkults und des soldatischen Opfertodes entspricht der propagandistischen Erzählung einer „Volksgemeinschaft“, die sich in totaler Gefolgschaft an Adolf Hitler formiert. Die Rede des Reichsredners Bartsch ist ein klassisches Beispiel für NS-Rhetorik: die pauschale Ablehnung „seelischer Argumente“, die Diffamierung aller, die sich nicht dem NS-System unterordnen, als „Ränkeschmiede“, und die Behauptung, das nationalsozialistische Wirken umfasse „die ganze Gemeinschaft“. Hier wird Meinungspluralismus als staatsfeindlich abgewertet, religiöse und intellektuelle Gegenstimmen werden diffamiert oder durch rhetorische Taschenspielertricks als irrelevant dargestellt. 3. Militarisierung und Kriegsbereitschaft Besonders bemerkenswert ist, dass bereits im März 1939 – also sechs Monate vor Kriegsbeginn – eine umfassende militärische Inszenierung in der kleinen Stadt Hall stattfindet. Die Bezugnahme auf die Jahrgänge 1914 bis 1916 als erste Rekruten der Ostmark in der „großdeutschen Wehrmacht“ ist nicht nur historisch perfide, sondern dient der symbolischen Verschmelzung der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg mit der Vorbereitung auf den kommenden Krieg. Der Satz: „Jahreszahlen, die wie helle Glocken in der deutschen Geschichte klingen“ verharmlost nicht nur das Grauen des Ersten Weltkriegs, sondern glorifiziert das Soldatentum als identitätsstiftend. Diese Gleichsetzung von Vergangenheit und Zukunft ist typisch für die nationalsozialistische Mobilmachung. Die Toten des Ersten Weltkriegs werden als mythische Ahnen einer neuen Generation von Soldaten verklärt, deren Opferbereitschaft bereits als selbstverständlich angenommen wird. Die Friedhofs- und Kriegergedächtnisstätte wird zur Bühne der nationalsozialistischen Selbstdarstellung, an der sich sowohl Wehrmacht als auch Parteigliederungen beteiligen – ein erschütterndes Zeugnis der militärisch-ideologischen Vereinnahmung öffentlicher Räume. 4. Fazit: Ein Zeugnis totalitärer Verklärung Der Artikel ist ein paradigmatisches Beispiel für die totale Vereinnahmung von Medien durch das NS-Regime. Er dient der Legitimierung des Systems, der Diskreditierung potenzieller Gegner (besonders der Kirche), der Glorifizierung des soldatischen Opfers und der Mobilisierung zum Krieg. Dass diese Ereignisse am 13. März 1939 stattfinden – exakt ein Jahr nach dem „Anschluss“ – zeigt die symbolische Aufladung des Datums. Die journalistische Darstellung blendet jegliche Ambivalenz, gesellschaftliche Spannungen oder abweichende Haltungen vollkommen aus.
Ein kritischer Umgang mit diesem Text in historischen oder schulischen Kontexten sollte die ideologischen Muster offenlegen, Widerstand und abweichende Stimmen sichtbar machen sowie die perfide Logik nationalsozialistischer Geschichtsschreibung und Mobilmachung demaskieren.
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