|
Foto: Erwin Lahousen. Im Zeugenstand beim Nürnberger Prozess. Erwin Lahousen. Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Online unter, (23. Mai 2005), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=163175 (Stand: 29.9.2025). EinleitungGeneralmajor Erwin Lahousen, Edler von Vivremont, zählt zu den bedeutenden, doch in der öffentlichen Wahrnehmung lange vernachlässigten Persönlichkeiten des militärischen Widerstands gegen das NS-Regime. Wie der Historiker Karl Glaubauf betont, erfuhren österreichische Offiziere der Wehrmacht, die aktiv an den Umsturzversuchen beteiligt waren, nur selten Anerkennung als Widerstandskämpfer. Lahousen, der gemeinsam mit Männern wie Robert Bernardis und Heinrich Kodre aus Überzeugung handelte, steht exemplarisch für diese Gruppe von Patrioten, die nicht Verrat üben, sondern ihr Vaterland vor dem endgültigen Untergang bewahren wollten. Ausgestattet mit detaillierten Kenntnissen über die Verbrechen des Regimes und getrieben von schweren Gewissenskonflikten, entschloss sich dieser Linzer Abwehroffizier, dem Terror ein Ende zu setzen. Seine hinterlassenen Aufzeichnungen und Aussagen in Nürnberg gehören zu den wichtigsten österreichischen Quellen zum Widerstand, blieben aber weitgehend unbeachtet. Die folgende Biografie zeichnet sein Leben und Wirken nach. Herkunft und FamilieErwin Heinrich René Lahousen, Edler von Vivremont, wurde am 25. Oktober 1897 in Wien geboren. Er entstammte einer traditionsreichen Offiziersfamilie, deren Adelswappen aus dem Jahr 1590 datierte und deren Ursprünge in der Hansestadt Osnabrück lagen. Sein Vater, Wilhelm Carl Lahousen (1853–1921), diente als k.u.k. Feldmarschallleutnant. Über acht Generationen hinweg ergriffen die Nachkommen den Soldatenberuf; ein Vorfahre, Friedrich Christian von Lahousen, war bereits 1789 an der Wiedereroberung Belgrads beteiligt. Dieser hatte Linz als Wohnsitz gewählt, wo die Familie fortan heimatberechtigt war und 1880 nobilitiert wurde. Militärische Ausbildung und Erster Weltkrieg Seine militärische Laufbahn begann Lahousen mit dem Besuch des Militärgymnasiums in Mährisch-Weißkirchen (1907–1913), gefolgt von einer Ausbildung an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt (1913–1915). Im Ersten Weltkrieg diente er von 1915 bis 1918 sowohl an der Ost- als auch an der Alpenfront. Nach zwei schweren Verwundungen im Jahr 1916 wurde er 1917 als Oberleutnant im Kanzleidienst des k.u.k. Infanterie-Regiments Nr. 14 eingesetzt. In der Nachkriegszeit diente er von 1919 bis 1920 bei der Volkswehr in Korneuburg. Lahousen im Österreichischen Bundesheer1921 trat Lahousen in das österreichische Bundesheer ein und wurde dem III. Gebirgsjägerregiment Nr. 7 in Linz zugeteilt. Nach einer Stationierung in Freistadt (1922) absolvierte er von 1930 bis 1931 den Generalstabslehrgang an der Wiener Kriegsschule. 1933 wurde er als Major in der 2. Brigade als Nachrichtendienstoffizier eingesetzt. Bis 1938 stieg er zum Oberstleutnant des Generalstabes auf und war in Wien als Mitarbeiter der Nachrichtenabteilung tätig. Ab 1937 amtierte er als Stellvertreter des Vorstandes Franz Böhme im österreichischen Verteidigungsministerium. Frühe Warnsignale und Lahousens Karriere im Österreichischen BundesheerBereits in der Ersten Republik Österreich bekleidete Lahousen bedeutende Positionen im Bundesheer. Die Ermordung von Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß im Juli 1934 bestärkte ihn in der Erkenntnis der putschistischen Gefahr durch die Nationalsozialisten. Unter Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg wurde das Verteidigungsministerium von Staatssekretär Wilhelm Zehner (1883–1938) geleitet, der Lahousen noch aus gemeinsamen Linzer Dienstzeiten kannte und ihm fortan mit besonderem Vertrauen begegnete. Zehner übertrug ihm hochsensible Aufgaben, darunter die Position des Sachbearbeiters für „angrenzende Staaten, vor allem für die Tschechoslowakei“, was Lahousen eine führende Rolle im österreichischen militärischen Nachrichtendienst verschaffte. In dieser Zeit, Anfang 1936, wurde er zum Major und kurz darauf zum Oberstleutnant des Generalstabes befördert. Parallel entwickelte sich eine enge Beziehung zu Madeleine Bihet-Richou, einer französischen Agentin. Geheime Kooperation und der „Anschluss“ 1938Das Juli-Abkommen von 1936 zwischen Österreich und dem Deutschen Reich sah in geheimen Zusatzklauseln eine erzwungene Zusammenarbeit der militärischen Nachrichtendienste vor. Im Zuge dieser Vereinbarung kam es 1937 zu einem folgenreichen Treffen: Admiral Wilhelm Canaris, Leiter der deutschen Abwehr, besuchte den Chef des österreichischen Nachrichtendienstes, Oberst Franz Boehme. Bei diesem Treffen wurde Boehmes Mitarbeiter, Oberstleutnant Erwin Lahousen, mit Canaris und dessen Stellvertreter, Oberst i.G. Hans Piekenbrock, bekannt gemacht. In der Nacht des 11. März 1938, nach der Radioansprache von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, in der dieser seinen Rücktritt bekannt gab, begannen der ehemalige Geheimdienstchef Oberst Maximilian Ronge und Lahousen damit, sensible Akten des Evidenzbüros zu vernichten. Am frühen Morgen des 12. März erschien Admiral Canaris persönlich im Verteidigungsministerium und beschlagnahmte die noch nicht zerstörten Geheimdokumente. Nur zwei Stunden später konfiszierte der SS-Führer Walter Schellenberg persönliche Akten führender NS-Funktionäre. Der Übertritt zur Abwehr und die Haltung des WiderstandsBereits am 12. März 1938 wurde Oberst Rudolf Graf von Marogna-Redwitz, der später als Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 hingerichtet wurde, als neuer Leiter des Nachrichtendienstes in Wien eingesetzt. Im April 1938 trat Lahousen selbst in den Dienst der Abwehr unter Admiral Canaris in Berlin. Die Instruktion von Canaris an Lahousen war dabei unmissverständlich: „Bringen Sie, besonders in die Zentrale nach Berlin, keine Nazis mit, bringen Sie Österreicher, keine Ostmärkler.“ Diese Anweisung verdeutlichte die distanzierte Haltung Canaris' zum NS-Regime. Bei Lahousens Antrittsbesuch in Berlin bekräftigte sein unmittelbarer Vorgesetzter, Oberst Hans Oster, diese Einstellung mit den Worten, „dass an der Spitze des Reiches ein Verbrecher stehe." Im Amt Ausland/Abwehr und der WiderstandNach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 wurde Lahousen in die deutsche Wehrmacht übernommen und von Juni 1938 bis 1943 in der Abwehr unter Admiral Wilhelm Canaris in Berlin eingesetzt. Von 1939 bis 1943 befehligte er als leitender Geheimdienstoffizier die Abteilung II (Sabotage und Zersetzung) im Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW). In dieser Schlüsselposition war er zugleich ein aktives Mitglied des militärischen Widerstands gegen das NS-Regime. Lahousens Rolle im Widerstand und an der Front.Anfang 1939 übernahm Lahousen die Leitung der Abteilung II (Sabotage und Zersetzung) der Abwehr. Er war, wie er später vor dem Nürnberger Tribunal aussagte, durch die klare Haltung von Admiral Canaris „verbunden und gebunden“. In dieser Position hegte er keine Bedenken, militärische Geheimnisse an den französischen Nachrichtendienst weiterzugeben. Der Kontakt lief weiterhin über seine Vertraute, Madeleine Bihet-Richou, und fand nach dem Überfall auf Polen in Budapest statt. Als die militärische Lage immer aussichtsloser wurde, begab sich Lahousen an die Front. Am 17. Juli 1944, einen Tag vor dem Attentat auf Hitler, wurde sein Gefechtsstand an der Ostfront unter schweren Beschuss genommen. Lahousen wurde schwer verwundet, überlebte jedoch. Am 19. Juli 1944 wurde ihm das Eiserne Kreuz I. Klasse verliehen und am 1. Januar 1945 erfolgte seine Beförderung zum Generalmajor. Nach Kriegsende trat er als einer der wichtigsten Zeugen der Anklage in den Nürnberger Prozessen auf. Die Nürnberger Prozesse und Lahousens RolleDie Nürnberger Prozesse, die vom 20. November 1945 bis zum 14. April 1949 stattfanden, bildeten das zentrale Element des alliierten Programms zur strafrechtlichen Verfolgung von NS-Kriegsverbrechen. In diesem historischen Rahmen kam Generalmajor Erwin Lahousen eine besondere Bedeutung zu. Als ranghöchster überlebender Offizier der Abwehr trat er am 30. November 1945 als erster Zeuge der Anklage im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher auf. Aussage in Nürnberg: Das Vermächtnis des WiderstandsVor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg am 30. November 1945 formulierte Lahousen als erster Zeuge der Anklage das politische Vermächtnis des Kreises um Canaris. Er zitierte die Überzeugung, dass der Krieg das Ende Deutschlands bedeute, und betonte: „Ein Unglück, das aber noch viel größer wäre als diese Katastrophe, wäre ein Triumph dieses Systems, den mit allen nur irgendwie möglichen Mitteln zu verhindern der letzte Sinn und Zweck unseres Kampfes sein muss.“ Mit diesen Worten unterstrich er den ethischen Imperativ, der die Handlungen des militärischen Widerstands leitete. Kriegsgefangenschaft und Zeugenschaft in NürnbergVon Mai 1945 bis 1947 befand sich Erwin Lahousen in US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft in Nürnberg. Seine zentrale Rolle als Kronzeuge der Anklage beim Internationalen Militärgerichtshof nahm er ab November 1945 wahr. Im Anschluss daran, von August bis Dezember 1946, wurde er von den britischen Besatzungsbehörden in Bad Nenndorf bei Hannover interniert. Leben im Schatten des Kalten Krieges: Tiroler JahreNach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft im Jahr 1947 siedelte Lahousen in das französische Militärprotektorat Tirol über. Dieser Schritt war vermutlich auch eine Vorsichtsmaßnahme im beginnenden Kalten Krieg, in dem ehemalige Nachrichtendienstoffiziere ein gefundenes Fressen für Verfolgungs- und Anwerbungsversuche durch sowjetische Dienste waren.
Letzte Lebensjahre in Innsbruck und fehlende WürdigungIm Jahr 1953 verlegte Lahousen seinen Wohnsitz endgültig nach Innsbruck. Dort heiratete er am 18. Mai 1953 Stefanie Neumann-Pintarics und wohnte in der Ingenieur-Thommen-Straße 2. In dieser Wohnung verstarb er 1955 an einem langjährigen Herzleiden. Seine Witwe zog später nach Absam.
Trotz seines Einsatzes, mit dem er sein Leben für die Freiheit Österreichs riskierte, und seiner entscheidenden Rolle in Nürnberg ist Generalmajor Erwin Lahousen bis heute eine weitgehende öffentliche Würdigung als Widerstandskämpfer verwehrt geblieben. Sein Schicksal steht beispielhaft für die anhaltende Vernachlässigung des militärischen Widerstands in der österreichischen Erinnerungskultur.
0 Comments
|
Autorin
|
Proudly powered by Weebly
RSS Feed