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Foto Dr. Ludwig Margreiter, in: Helmut Wopfner (Hrsg.), Unsere Sternkorona Hall in Tirol. Mitgliederverzeichnis 1888 – 1998, Thaur 1998, S. 47. Das Leben von Dr. Ludwig Margreiter (1885 – 1964) ist mehr als eine bloße Biografie; es ist eine Erzählung, die die turbulenten ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Österreich widerspiegelt. Sein Werdegang – von den Tiroler Alpen auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs, vom politischen Amt in die Haft des NS-Regimes und schließlich an den höchsten Gerichtshof eines wiedererstandenen Staates – zeugt von Widerstandsfähigkeit und dem bewegten Zusammenspiel von individuellem Schicksal und historischen Mächten. Frühe Prägung: Ausbildung und Verbindung Geboren im malerischen Mayrhofen in Tirol, zeichnete sich Margreiters Weg früh durch eine klassische Ausbildung am Franziskaner-Gymnasium in Hall ab. Hier trat er 1903 der „Sternkorona“ bei, einer katholischen Schülerverbindung. Diese Zeit war eine prägende Erfahrung, die für aufstrebende Akademiker jener Ära typisch war. Diese Verbindungen waren nicht nur gesellige Zirkel; sie waren Netzwerke, die die politische und kulturelle Identität formten und oft lebenslange Bande und Loyalitäten schufen. Sein Jurastudium führte ihn in die vielschichtige, multi-ethnische Stadt Prag, wo er bei der „Saxo Bavaria“ rezipiert wurde. Seine Promotion zum Doktor der Rechte (Doktor Juris) absolvierte er in Innsbruck, wo er sich weiter in der Welt des Cartellverbands (CV), einem bedeutenden Dachverband katholischer Verbindungen, engagierte. Dieser Hintergrund verortete ihn fest in einem bestimmten sozialen und ideologischen Milieu des vorkriegszeitlichen Österreich. Der Große Krieg und ein Neuanfang Wie für so viele seiner Generation wurde Margreiters frühe Karriere durch die Urkatastrophe des Ersten Weltkriegs unterbrochen. Sein Kriegsdienst und seine anschließende Gefangenschaft führten ihn auf eine unvorstellbare Reise – bis in ein Kriegsgefangenenlager nach Wladiwostok an der russischen Pazifikküste. Diese Erfahrung der Gefangenschaft, fern der Heimat, muss ein prägendes Ereignis gewesen sein. Nach seiner Rückkehr in ein geschrumpftes und neu geformtes Österreich baute er sich eine neue Existenz auf. Er ließ sich in Zell am See in Salzburg nieder, wo er eine Rechtsanwaltskanzlei eröffnete. Bestrebt, sich in seiner neuen Gemeinde einzubringen, stieg er in die Lokalpolitik auf und wurde zum Vizebürgermeister. Diese Zeit verkörperte den klassischen Werdegang eines angesehenen Bürgers, der seiner Gemeinde dient. Das dunkelste Kapitel: Verfolgung nach dem Anschluss Das friedliche Leben, das Margreiter aufgebaut hatte, wurde 1938 durch den „Anschluss“ – die Annexion Österreichs durch das nationalsozialistische Deutsche Reich – jäh zerstört. Seine Vergangenheit als Katholik, Verbindungsmitglied und lokaler Politiker im nun verbotenen System machten ihn zur Zielscheibe. Der Text hält fest, dass er in Zell am See zweimal verhaftet und längere Zeit festgehalten wurde – ein klares Indiz für seine politische Verfolgung durch das NS-Regime. Diese Schikane trieb ihn in die innere Emigration und zwang ihn, seine Kanzlei und seine Heimat aufzugeben, um in der Anonymität Wiens unterzutauchen. Das Nachkriegserbe: Eine Stütze der Zweiten Republik Das Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 markierte die Wiedergeburt eines unabhängigen Österreich. In dieser kritischen Phase des Wiederaufbaus suchte die neue Administration nach erfahrenen, unbelasteten Juristen, um die demokratischen Institutionen mitzugestalten. Ludwig Margreiter, mit seiner unvorbelasteten Reputation aus der Zeit vor dem Anschluss und seiner persönlichen Verfolgungsgeschichte, war genau der richtige Mann. Seine Berufung an den Verfassungsgerichtshof im Jahr 1945 war eine bedeutende Ehrung und eine Anerkennung seiner Integrität und Expertise. In dieser Rolle wirkte er direkt am Wiederaufbau der Rechtsstaatlichkeit und am Schutz der demokratischen Verfassung der Zweiten Republik Österreich mit. Ein Leben im Spiegel der Geschichte Dr. Ludwig Margreiters Leben spannt einen weiten Bogen durch das Kaiserliche Österreich, die Erste Republik, den autoritären Ständestaat, die Schreckensherrschaft der NS-Zeit und die hoffnungsvolle Dämmerung der Zweiten Republik. Von seinen frühen Tagen in katholischen Verbindungen bis zu seiner letzten Rolle als Verfassungsrichter ist seine Geschichte eine eindrückliche Mahnung daran, wie einzelne Lebensläufe in den größeren Teppich der Landesgeschichte verwoben sind – sie ertragen ihre Erschütterungen und tragen zu ihrer Erneuerung bei.
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